State of Things
oder die Suche nach dem Jetzt

Das Ausstellungsprojekt STATE of THINGS führt unterschiedliche, aber auch verwandte Beobachtungen mit zumeist foto- und filmkünstlerischen Positionen zusammen und interpretiert aktuelles Geschehen in und aus unserer Nähe. Es greift damit eine konzeptionelle Ausrichtung und Initiative auf: Europa - als eine gemeinsame Ideenfindung und Austausch, Verbindungen und Identitäten, Zustand und Zukunft. Verbindung bedeutet Beziehung, Gemeinschaft und Zusammenhang. Unter anderem schreibt Wikipedia, der Begriff steht für die Vereinigung zweier Objekte, wobei es unerheblich ist, ob beide Objekte ihren Eigenschaften nach erhalten bleiben oder zu einem neuen Stoff mit veränderten Eigenschaften werden.
Das Ausstellungsprojekt eignet sich in der Stadt Chemnitz als zukünftige Kulturhauptstadt Europas als eine Vorschau auf das Kulturjahr 2025. Es fragt nach dem Stand der Dinge und dem Jetzt in zunehmend unruhigen Zeiten und erlaubt abermals nicht nur Aufmerksamkeit für Gemeinschafte(n), sondern ist nach dem allgemein gesellschaftlichen und kulturellen Stillstand gleichzeitig die Suche nach Ausblick und Wiederbelebung. Mit der (Aus)Wahl der künstlerischen Positionen stellt sich die Frage nach einer politischen und gesellschaftsrelevanten Zuwendung des fotokünstlerischen Mediums. Zugleich wird versucht, sein erweiterter Realitätsbezug zu diskutieren und aktualisieren, den es mit seiner grenzüberschreitenden und universellen Verständlichkeit hat: Wo endet die Wirklichkeit und beginnt die (inszenierte) Interpretation? Von den Rändern des Dokumentarischen entstehen aus der Wirklichkeit neue Allianzen.
Darüber hinaus bilden sich am Ausstellungsort bewusst Verbindungen und Verschmelzungen mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen. Sie alle reflektieren nicht nur die Bedingungen des Mediums, sondern erweitern es zu Geografien von Bildmetaphern und Kontext. Durch assoziative Verknüpfungen werden neue Handlungsräume markiert, die zu (kritischen) Wechselbeziehungen zwischen Öffentlichkeit, Gesellschaft und Vermittlung führen. Gleichzeitig sind Ausstellungsräume eine unverzichtbare Plattform für Austausch und Wirken ihrer Akteure und zuletzt nicht unbedeutend als Beitrag zum kulturellen Leben. Für das Publikum öffnen sie einen partizipativen Ort, an dem alltägliche Zeitabläufe unterbrochen werden und Vertrautes mit anderen Kommunikationsformen hinterfragt und neue Zusammenhänge sichtbar werden.
Lösen sich gegenwärtig die bisher etablierten und vertraglich vereinbarte Verbindungen auf? Entstehen nach einem sozialgesellschaftlichen und ökonomischen Stillstand nie da gewesene Allianzen, die auf etwas nach dem: Nichts ist, mehr wie es scheint zu sein, hinweisen und mit veränderten Erscheinungs-, Stimmungs- und Wahrnehmungsbilder neue Bezüge zu einer fragil gewordenen Welt herstellen? Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermann äußerte sich in einem Interview folgendermaßen: So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln zu müssen, gab es noch nie. Und muss wieder über eine Dialektik der Aufklärung, über mehr Freiheit und Gleichheit statt Begrenzungsinitiativen nachgedacht werden? Sind bereits verstärkt regionale Tendenzen erkennbar, um die Gedanken des Essayisten Robert Menasse an dieser Stelle aufzugreifen, dass es in Zukunft keinen Nationen, sondern nur Regionen geben wird und er für Europa ein Netzwerk von Regionen vorschlägt, bei dem sich verstärkt die menschliche und nicht nationale Entscheidungen herausstellen?
Das Ausstellungsprojekt sucht nicht nach europäischen künstlerischen Repräsentanzen, sondern versucht, mit individuellen Reflexionen Gegenwart zu verstehen, die vielmehr losgelöst von nationalen Identitäten und Zugehörigkeiten erscheinen. STATE of THINGS eignet sich als ein Vorhaben zu sozialgesellschaftlichen Erneuerungen zwischen Dialog und Denkanstößen und bei dem ein Perspektivwechsel verhandelt wird. In einer brüchigen Gegenwart ermöglicht das Projekt für alle Akteure eine diskursive Plattform der diversen Begegnungen. Die Ausstellung ist auch der Versuch, in der Gegenwart nach anderen Bildern und Emotionen zu suchen, jenseits die der Massenmedien mit ihren täglich wiederholenden und zunehmend wirkungsloser Bilderflut. Über die konzeptionellen und nicht nur fotokünstlerischen Positionen werden gewohnte (Bilder) Grenzen des Dokumentarischen aufgehoben, um sich auf diese Weise einer Vorstellung von den Dingen zu nähern. Als eine Art anmutendes Protokoll der Gegenwart werden Varianten des Narrativen sichtbar und die ausgestellten Werke zu Spekulationsträgern, die in der (neuen) Wirklichkeit Freiräume für Assoziationen, Ausblicke und Bedeutungen erlauben ...
Carsten Becker
Wie wirkt sich die Geschichte auf die Gegenwart aus? Carsten Becker verweist in seiner seriellen Arbeit aus fotohistorischen Bildmaterial auf die Bedeutung von Information und ihre politisch meinungsbildende Funktion öffentliche Sichtweisen zu formen. Er thematisiert damit die Mechanismen von Macht und Manipulation von Bildern, die jüngst verstärkt wieder im Fokus der Verzerrung und Verschiebung von vermeintlich massenmedialem Ausdruck über die Wirklichkeit und ihrer Vorstellung davon diskutiert werden. Die einstigen Gefahren von Beeinflussung und Lenkung erscheinen so nah wie nie zuvor. Mit seiner abstrakten Erzählweise öffnet Becker nicht nur einen Raum von Interpretationsvarianten, sondern hinterfragt gleichzeitig den Anspruch und Erwartungen des abbildenden (Informations) Mediums heute.
Carsten Becker hat an der Kunsthochschule für Medien Köln (1994-99) studiert. Der Konzeptkünstler ist zweimal Preisträger des Deutschen Studienpreises (Körber-Stiftung). Seine Werke wurden international im Architekturzentrum Wien, im Kunstquartier Bethanien Berlin, im Palazzo delle Stelline Milano, Athen und im Paradiso Amsterdam gezeigt. Carsten Becker lebt und arbeitet in Berlin. https://carstenbecker.net